Leseprobe »Ich hab’ auf dich gewartet, Bruder« (Teil III)

Symbole als »Meißel«, die EINHEIT zu zerschlagen

aus Teil III / Kapitel 3: Symbole und Namen

Wenn wir von nicht-symbolgestützter Erfahrung reden, stellt sich automatisch die Frage: Was ist denn symbolgestützte Erfahrung? Das lässt sich sehr einfach und mit einem Satz beantworten: Das sind alle Erfahrungen, denen du dir in dieser Welt bewusst bist. Also deine ganz normale Alltagserfahrungen, die du ständig machst, 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche.

Das möchten wir nicht weiter theoretisch erörtern, sondern sinnvollerweise praktisch-theoretisch erkunden, also erfahrbar machen. Es geht in diesem Praxiskapitel um ein Gespür für die U.N.E. [Universelle nicht-symbolische Erfahrung (Anm.d.V)], eine »gefühlte Richtung« frei von Symbolen, darum eine Ahnung für die Möglichkeit einer anderen Erfahrung zu bekommen.

Mache es dir bequem und schau dich entspannt um. Nimm dir nicht vor, »etwas Bestimmtes« zu beobachten, zu betrachten oder eine Auswahl zu treffen. Versuche vielmehr, deinen Blick wie ein Schmetterling durch die Fülle eines Blumenfelds wandern zu lassen. Entspanntes Schauen. Früher oder später wird dein Blick auf ein »Etwas« stoßen und dort »hängen bleiben«. Vermeide das nicht, forciere das nicht. Lasse es einfach geschehen.

Sobald ein »Ding« deine Aufmerksamkeit erlangt hat, konzentriere dich voll darauf.

Mache dir zunächst klar, dass du dieses Ding »erkennst«. Du kannst es benennen.

Nehmen wir ein Beispiel: Deine Aufmerksamkeit hat sich vielleicht auf eine Blume gerichtet.

Da ist zunächst das Symbol »Blume«, der Name, den du für diesen Gegenstand erlernt hast. Vielleicht begann der Lernschritt mit einem Bilderbuch, dein(e) Mutter/Onkel/Oma/Bruder/Kindergärtnerin/Erziehungsbeauftragter deutete auf ein Bild und sagte: »Blume«. Du lerntest nach und nach, zu abstrahieren, und warst in der Lage, höchst unterschiedliche Formen und Farben als »Blume« zu erkennen. Du lerntest, dass Blumen wachsen, dass sie mal mehr mal weniger Duft verströmen, dass sie Wasser benötigen oder dass sie mit Ablegern vermehrt werden können.

Siehst du die Blume vor dir oder vielmehr deine vergangenen Erfahrungen mit Blumen im Allgemeinen und dieser Art von Blume im Besonderen? Wende diese Frage auf »deinen« Gegenstand an.

Kannst du »sehen«, dass das Symbol oder der Name, den der aktuelle Gegenstand hat, mit einer komplexen Kombination aus Bildern, Gerüchen, Texturen, Vorstellungen, Gefühlen und Empfindungen verbunden ist? Nimm dir ein wenig Zeit und untersuche ihn daraufhin.

Kannst du akzeptieren, dass du nicht den Gegenstand »an sich« siehst, sondern dein vergangenes Lernen, das du mit einem Symbol versehen hast? So, wie wir das bei der »Blume« geschildert haben?

Wie »entsteht« dieser Gegenstand, den du jetzt, in diesem Augenblick wahrnimmst? Das Symbol ist offenbar eine Art Meißel, mit dem du ihn abgrenzt, ein Kürzel für seine besonderen Eigenschaften. Du hast den Gegenstand damit aus dem unspezifischen »Blumenfeld«, unserem Ausgangspunkt, herausgemeißelt.

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Grundlose LIEBE ohne Bedingungen - nichts weiter

aus Teil III / Kapitel 9: Vergebung

Nun beginne mit dem ersten Namen auf der Liste. Welche Gefühle verbindest du mit diesem Namen?

Magst du die Person vielleicht nicht so wirklich, macht sie dir hin und wieder Schwierigkeiten, hat sie dir Leid zugefügt?

Weicht sie von deinem Ideal ab, dem sie entsprechen sollte?

Erfüllt sie die Rolle nicht, die du ihr zugewiesen hast?

Liebst du sie, aber sie hat dich geärgert?

Gibt es irgendwelche anderen Fehler an ihr, Angewohnheiten, die du nicht magst, körperliche Merkmale, die dir missfallen?

Um es zusammenzufassen: Gibt es irgendetwas an dieser Person, das keine grundlose Liebe ohne Bedingung in dir hervorruft?

Mit anderen Worten: Hat diese Person dich zu »Etwas« gemacht, das nicht grundlose Liebe ohne Bedingung ist?

Stelle dir nun eine dieser Fragen, welche gerade bei dir Resonanz erzeugt:

»Kann ich das anders sehen?«

»Kann ich stattdessen anders sehen?«

»Kann das in Liebe verwandelt werden?«

Falls dir keine dieser Fragen liegen, formuliere eine eigene Frage mit vergleichbarem Sinn, wie: »Kann ich die Person stattdessen im Licht sehen?«

Versuche anschließend nicht, mit deinen Gefühlen – die nicht Liebe sind! – irgendetwas zu »machen«. Lasse die Frage einfach stehen, beantworte sie auf keinen Fall selbst!

Warte stattdessen direkt nach der Frage einen Augenblick auf eine Antwort, wie die Katze gespannt vor dem Mauseloch wartet. Die Frage ist ein Gedanke, dann wartest du – ohne einen Gedanken.

Diese »Lücke«, frei von Gedanken, ist der endlose blaue Himmel, den du hinter den Wolken aufblitzen siehst, der grenzenlose Raum, der alle deine Empfindungen enthält, aber nicht davon beeinflusst wird, die Leinwand, auf die du alle Dinge einschließlich dieser Person projiziert hast, die unendliche Weite, in der Vergebung stattfindet. Ohne dein Zutun.

Nun nimm die nächste Person auf deiner Liste. Komme nicht auf die Idee, deine Liste bei entsprechender Länge in einem Rutsch durchzuarbeiten. Lass dir Zeit. Wenn du das Empfinden hast, es sei nun genug: Höre auf. Mache später oder morgen weiter.